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Meine letzte Reise

Ein Ruck, die Türen öffnen sich.

Menschen drängen sich in den Zug.

Ich ersteige die Stufen und wende mich um, jetzt kann ich noch fliehen.

Soll ich es wagen?

Mein Fuß pendelt unentschlossen in der Luft.

Ein Mann in Uniform versperrt mir den Weg, er schließt die Türe.

Gefangen!

Ein Pfiff, ein Zeichen und der Zug setzt sich in Bewegung.

Ich blicke mich um, die Enge ist bedrückend jeder freie Fleck auf dem Boden ist schon besetzt. Selbst eine gebrechliche alte Dame sitzt zusammengesackt in einer Ecke. Niemand nimmt Rücksicht auf sie, jeder ist mit sich und seinen wenigen Sachen, die er mitnehmen konnte, beschäftigt.

Ich wende mich ab und suche mir selbst einen Platz wo ich mich hinsetzen könnte. Langsam bewege ich mich vorwärts, jeden Schritt sorgfältig setzend um nicht auf jemand zu treten. Jeder derer an denen ich vorüberkomme versucht mir Platz zu machen, man ist höflich, selbst jetzt noch! Ein alter Mann sitzt auf dem Boden, seinen Hut in den Händen haltend schaut er mit seinen blauen Augen zu mir auf, ich weiß nicht warum - ich muss vorbei.

Mit 2 umsichtigen Schritten zwänge ich mich an ihm vorbei.

Vorwärts, weiter - nur weg!

Weiter vorwärts im fahrenden Zug.

Nach wenigen Metern wird es immer dicht gedrängter und dunkler, sogar hier in dieser dunkelsten Ecke stehen sie gedrängt.

Ein Mann im Anzug, Zeitung lesend steht in der Menge, nichts sehend, nichts hörend und nichts sagend. Wie als ob er frei wäre, wo wir doch alle gefangen sind. Etwas weiter durch den Knäul aus Menschen sitzt ein Mann auf seinem einzigen Koffer, er starrt vor sich hin. Ich frage mich wo er den Kaffee her hat den er in langsamen vorsichtigen Schlucken trinkt, wie als wäre es sein Letzter. Vorsichtig balanciert er ihn als ich an ihm vorbeidränge, er wirkt sehr traurig - immerhin hat er einen Koffer, auf dem er zumindest sitzen kann. Ein paar Kinder schlafen dicht gedrängt an ihre Mutter auf dem Boden, nichts ahnend wohin es geht - die Mutter weiß es. Mit Schmerz in den Augen schaut sie mich an als ich an ihr vorbeigehe und sie ihre Kinder enger an sich zieht um mir Platz zu machen. Vielleicht wäre ein tröstendes Wort angebracht?

Ach, was hat das noch für einen Sinn?

Der Zug hält, ein weiterer Bahnhof, weitere Menschen, die in den Zug gezwängt werden, wieder ein Pfiff eines Uniformierten.

Es geht weiter. Ich finde einen freien Fleck, ein gepflegter Mann mittleren Alters sagt mir ich soll vorsichtig sein, in seinem Koffer wären Geschenke für seinen Neffen der bald Bar Mitzwa feiert. Ich lächle und setze mich vorsichtig.

Nachdem ich mich auf den kalten Boden gesetzt habe überfällt mich die Müdigkeit, ein unruhiger Schlaf überkommt mich, Hin und Wieder wache ich auf - es schläft sich schlecht in einem Zug.

Besonders in einem solchen.

Als ich aufwache schaue ich die Frau über mir neugierig an, sie kann nach draußen sehen. Ich frage sie wieso wir gehalten haben - weitab von jeder Stadt - sie wisse es nicht, sie sehe in einiger Entfernung ein mit Stacheldraht umzäuntes Lager und sonst nur Wald und Felder. Ein einsamer Weg führt dorthin in die Ferne. Der Schnee vollendet den Anblick der eisigen Landschaft, hier - weitab von jeder Zivilisation.

Die Zeit erscheint endlos doch schließlich beschließen sie uns über einen Lautsprecher laut und klirrend etwas mitzuteilen, wir werden um Ruhe gebeten - die Gleise seien vereist. Unglaube macht sich breit.

Die meisten sind zu erschöpft um Widerstand zu leisten, was sollte man auch tun?

Aussteigen, Anklagen oder dagegen Ankämpfen?

Schreien das sie weiterfahren sollen?

Sie können uns wahrscheinlich eh nicht hören.

Es vergeht die Zeit, doch nach unscheinbar langen Minuten setzt der Zug sich endlich wieder in Bewegung und das stacheldrahtbewehrte Lager verschwindet in der Ferne.

Ich sinke wieder in einen unruhigen Schlaf, bis mich die klirrende Stimme weckt: "Berlin Hauptbahnhof, wegen unserer Verspätung von 40 Minuten konnten die Züge S-Wannsee, S-Alexanderplatz und ICE151 nach Hamburg leider nicht mehr warten.

Wir entschuldigen uns bei allen Fahrgästen für die Verspätung und hoffen das wir bald wieder die Freude haben sie in einem unserer Züge zu begrüßen."

Copyright Felix Claudius

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