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Ein Telefonat in der Großstadt

Warum ich hier im Gefängnis sitze?

Ich erzähle es Ihnen.

Haben Sie auch schon mal versucht, in einer Großstadt zu telefonieren?

Klar, einfach einen ruhigen Ort suchen und man kann telefonieren, und die ruhigsten Orte in einer Großstadt sind: direkt neben dem Flughafen, der Hauptverkehrsstraße oder im Getümmel der Fußgängerzone - hier kann man unbesorgt in sein Handy schreien und sich sicher sein, dass einen der Gesprächspartner grade noch versteht.

Das dachte ich auch, doch ich besitze leider kein Videohandy, dass mir mein Gesprächspartner mit Schrifttafeln verständlich machen kann, was er sagt.

Die mühselige Lautbuchstabierung funktioniert bei Zahlen leider nicht und die grandiose Idee, alles Laut zu wiederholen, um mir bestätigen zu lassen, dass ich es richtig verstanden hatte, begeisterte die umstehenden Passanten so sehr, dass sie anfingen, mein Gespräch über meinen vergessenen Bank-PIN mitzuschreiben.

Auf der Suche nach einem noch ruhigeren Ort bzw. der panischen Flucht vor der geldgierigen Meute landete ich in einer Seitenstraße, an deren Ende mir ein Parkhaus entgegen lächelte, ein Ort der Ruhe, der Sicherheit und des Friedens.

Dort angekommen begann ich mein Telefonat erneut und mir wurde schnell klar, dass jedes Mal ,wenn mein Gesprächspartner etwas unheimlich Wichtiges sagen wollte, ein Auto mit quietschenden Reifen losfuhr, die jegliches Verständnis verhinderten.

Ich suchte weiter und fand eine einsame Nebenstraße, in der man perfekt telefonieren konnte - leider nur wenige Minuten, bevor die Straßenbesitzer auftauchten und Tribut forderten, damit ich weiter in ihrer Straße bleiben konnte. Zumindest ließ mich diese Vorstellung die Straße panisch verlassen, bevor das jugendliche Grüppchen zu mir aufschließen konnte.

Sie wollten bestimmt nur höflich nach dem Weg fragen.

Zurück in der Fußgängerzone ging ich in meine Bank, um dort zu telefonieren, gegen die piepsenden Automaten und das laute Aufreißen und Schließen der Haupttüre half nur das laute Wiederholen. Ich hatte schon die Hälfte meines Pins erhalten, als mir auffiel, dass der freundliche Kunde, der mit mir im Raum war, schon zum 15ten Mal einen Zehn-Euro-Schein einzahlte und ihn sich wieder auszahlen ließ.

Ich ging und klingelte an einem mir wildfremden Haus, wo mir eine Seniorin aufmerksam zuhörte und für meine Sache volles Verständnis zeigte - sie würde gleich runterkommen und die Türe öffnen, damit ich endlich ein ruhiges Plätzchen zum Telefonieren hatte. Wenige Minuten kam sie auch schon die Treppe herunter, um den Polizeibeamten in Empfang zu nehmen, der die Anzeige wegen versuchten Einbruchs gegen mich entgegennahm.

Er versprach der Seniorin, mich mitzunehmen und sich um mich und meine Probleme zu kümmern.

Weil ich ein Bürger bin, der sich noch nie eines Verbrechens schuldig gemacht hat, führte er mich sogar ohne Handschellen ab und ich begleitete ihn in eine rote Zelle, zu der er mir die Tür öffnete und vor der er sich nach meinem Eintritt postierte.

Sie war durchsichtig und an einem merkwürdigen Apparat, in den man Geld werfen konnte, hing ein Telefonbuch, ich wollte meinen Anwalt anrufen - doch der Akku meines Handys war inzwischen leer.

Sobald man mir das Essen bringt, verlange ich telefonieren zu dürfen. Aber schließen Sie bitte die Türe meiner Zelle, bevor ich mich ernsthaft erkälte.

Copyright Felix Claudius

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